Bin ich schuld?
Viele Kinder und Jugendliche, die Gewalt erleben, stellen sich diese Frage. Die klare Antwort lautet: NEIN! Jede*r, der*die Gewalt ausübt, ist selbst dafür verantwortlich. Egal, welcher Konflikt der Gewalt vorangeht, man hat immer die Wahl, Gewalt anzuwenden oder die Situation zu durchbrechen und z. B. den Raum zu verlassen. Aussagen wie „Ich wurde provoziert! Er*sie wollte es so!“, dienen nur der Rechtfertigung der Täter*innen. Es gibt aber keine Entschuldigung für Gewalt.
Wird alles besser, wenn ich braver bin und mich mehr bemühe?
Bei Gewalt innerhalb der Familie kommt es ganz selten vor, dass die Betroffenen nach dem ersten Übergriff Hilfe holen. Wahrscheinlich suchst auch du zunächst nach eigenen Lösungen und änderst dabei nach und nach deine Gewohnheiten oder sogar dein ganzes Leben, um Gewaltausbrüche zu vermeiden. Verzichtest du auf alles, was vom Täter*von der Täterin als falsches Verhalten angesehen werden könnte? Dadurch stoppst du die Entwicklung deiner eigenen Fähigkeiten und Stärken. Die Gewalt endet jedoch trotzdem nicht, da der Täter*die Täterin immer wieder neue Gründe für sein*ihr Verhalten findet.
Aber es sind doch meine Eltern!
Gewalt ist nie okay! Aber von jemandem verletzt zu werden, den man liebhat und zu erleben, dass das eigene Zuhause nicht sicher ist, ist besonders schlimm. Auch Kinder und Jugendliche, die miterleben, wie ein Elternteil den anderen fertig macht, leiden unter dieser Gewalt. Dann ist man zwischen verschiedenen Gefühlen hin und her gerissen.
Diese Empfindungen sind normal und viele Kinder und Jugendliche erleben solche und ähnliche Gedanken und Gefühle, wenn sie zuhause von Gewalt betroffen sind. Oft ist die Angst vor den Eltern oder um die Eltern so groß, dass es ganz schwer wird, etwas zu unternehmen.
Hier ist es gut zu wissen, dass es Beratungsstellen gibt, die sich um Erwachsene kümmern, die häusliche Gewalt erleben. Von Gewalt Betroffene können sich z.B. an das Gewaltschutzzentrum Oberösterreich oder ein Frauenhaus wenden. Dort bekommen sie Beratung und Schutz – auch anonym. Es gibt auch Beratungsstellen für Gewalttäter*innen, die dabei helfen, wenn ein*e Täter*in sich ändern möchte (Neustart, Männerberatung)
Und vergiss nicht: Du bist nicht für die Erwachsenen verantwortlich und du musst die Gewalt nicht beenden. Aber du darfst dir Hilfe holen!
Komme ich ins Heim?
Wenn du dich fragst, ob du automatisch von deiner Familie wegkommst, wenn du dich an die Kinder- und Jugendhilfe (viele kennen diese noch unter der früheren Bezeichnung Jugendamt oder Jugendwohlfahrt) wendest, ist die klare Antwort: NEIN. Zuerst wird immer geschaut, wie Hilfe möglich ist, ohne dass du von deiner Familie getrennt wirst. Die Kinder- und Jugendhilfe vereinbart mit deinen Eltern, dass sie eine „Unterstützung der Erziehung“ in Anspruch nehmen. Deine Eltern müssen sich an diese Vereinbarung halten.
Nur wenn ein Zusammenleben mit deinen Eltern überhaupt nicht mehr möglich ist, sucht die Kinder- und Jugendhilfe eine andere Lösung für dich.
Das „Heim“, wie man es von früher kennt, gibt es aber nicht mehr. Kinder und Jugendliche, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können oder wollen, werden heute in sogenannten sozialpädagogischen Wohngemeinschaften untergebracht. Dort sind rund um die Uhr Sozialpädagog*innen für sie da. Auch bei einer Unterbringung in einer Wohngemeinschaft ist die Rückkehr in die Familie das Ziel, an dem gemeinsam gearbeitet wird.
Sehe ich Papa und Mama nie wieder?
Auch wenn du in einer Wohngemeinschaft wohnst, kannst du deine Eltern sehen. Du hast das Recht, regelmäßig Kontakt zu deinen Eltern zu haben. Es kann allerdings sein, dass du deinen Papa/deine Mama zu deinem Schutz eine gewisse Zeit lang nur in Begleitung eines anderen Erwachsenen (Sozialpädagog*in, Betreuer*in, etc.) treffen kannst. Genaue Vereinbarungen dazu werden vorab immer von deinem Sozialarbeiter*deiner Sozialarbeiterin mit dir besprochen.
Wenn du jedoch vor deinem Papa/deiner Mama Angst hast, weil sie dir weh getan haben, können Expert*innen auf deinen Wunsch hin empfehlen, dass du ihn*sie eine Zeit lang nicht sehen musst.
Wenn ich es jemandem sage, wird dann alles noch schlimmer?
Eine Veränderung macht dich vielleicht unsicher, da du nicht wissen kannst, was auf dich zukommt. Wichtig ist jedoch, dass du Unterstützung hast und Menschen, an die du dich wenden kannst, wenn es dir nicht gut geht. Auch wenn du vielleicht das Gefühl hast, dass zunächst alles noch turbulenter und belastender ist als vorher, ist es richtig, dass du dich jemandem anvertraust: Denn Gewalt ist Unrecht und muss nicht ausgehalten werden!
Wie helfe ich meinem Freund*meiner Freundin
Oft hat man keine Ahnung, was man tun soll, wenn ein*e Freund*in zuhause Gewalt erlebt. Vielleicht bist du auch gar nicht sicher, was wirklich los ist und hast nur bemerkt, dass sich etwas verändert hat und es deinem Freund*deiner Freundin nicht gut geht? Vielleicht meldet er*sie sich nicht mehr so oft bei dir oder wirkt still und gedankenverloren.
Was solltest du tun, wenn du denkst, dein*e Freund*in hat zuhause Probleme?
Lass den Kontakt nicht abreißen! Egal ob ihr telefoniert, Nachrichten schreibt oder euch trefft, wichtig ist, dass dein*e Freund*in merkt, dass du da bist. Frag immer wieder nach, wie es ihm*ihr geht.
Was solltest du tun, wenn dein*e Freund*in dir von Gewalt zuhause erzählt?
Es kann sein, dass dein*e Freund*in Angst hat, oder sich schämt, darüber zu sprechen, was bei ihm*ihr zuhause los ist. Es braucht viel Mut, sich jemandem anzuvertrauen und zu erzählen, was man gerade durchmacht. Wenn dein*e Freund*in dir von Gewalt zuhause berichtet, denk daran: Du musst die Probleme nicht lösen und du musst nicht dafür sorgen, dass die Gewalt aufhört. Das Wichtigste ist Zuhören!
Vielleicht könnt ihr gemeinsam im Internet recherchieren, wo es Hilfe für deine*n Freund*in gibt. Du kannst ihn*sie auch zur Kinder- und Jugendanwaltschaft oder zu einer anderen Beratungsstelle begleiten. Oft ist es gut, jemanden an seiner Seite zu haben.
Du kannst dich aber auch selbst an die Kinder- und Jugendanwaltschaft wenden, dich beraten lassen und dir Hilfe holen. Denn es ist nicht leicht, zu sehen, dass es einem*einer Freund*in nicht gut geht.